Jungfrauenmord
oder romantische Fantasien?
''.....Ich zögerte und lauschte, ob nicht ein menschliches Wesen in der Nähe oder mir nachgeschlichen sei. Auch konnte der Verdacht nicht ausbleiben, wenn man nachträglich die Spuren im Busch und im Innern finden würde. Die Männer würden zweifellos keinen Spass verstehen und hinterrücks Rache an mir nehmen. Der Morgen brach an, Zeit war nicht zu verlieren, und... entschlossen kletterte ich über den von rohen Baumstämmchen und Ästen verfertigten Zaun. Jetzt befand ich mich vor dem Geisterhaus! Nirgends war in den aus Sagoblattrippen verfertigten Wänden eine öffnung zu sehen, doch reichten diese auf allen vier Seiten nicht ganz bis zum Boden herab, unter ihnen musste man durchkriechen, um ins Innere zu gelangen, was ich auch tat. Mit einiger Enttäuschung blickte ich mich in dem Raume um, der vollständig rot bemalt war, ob mit Blut oder rotem Ton, vermochte ich nicht zu unterscheiden. Das Ganze machte den Eindruck, als ob es schon langere Zeit nicht mehr betreten worden sei, auch im Gehöft war das Unkraut kniehoch gewachsen. Im übrigen schien aber die Hütte nicht sehr alt zu sein, und auch das Blätterdach war vollkommen unbeschädigt. Die eine Hälfte des hohen, ungeteilten Raumes wurde von zwei ubereinander angebrachten Pritschen eingenommen, von denen die untere leer war, die obere von zwei mumienähnlichen Paketen eingenommen war.
Die
Verpackung bestand aus zahlreichen Blattscheiden der NibungPalme
und war mit Lianen sorgfältig verschnürt. Auch die beiden Pakete
waren vollständig rot bemalt und wiesen nur an einer Stelle eine
kleine Lücke auf, an welcher der ebenfalls rot bemalte Zahnfortsatz
eines Epistropheus hervorragte. Dies war also der FeuerDema mit
seiner Gattin, Nichts verriet sonst den Inhalt der Pakete. Gewaltsam
brach ich an einer Stelle die Umhüllung auf, und... zum Vorschein
kamen lauter rot bemalte Menschenknochen, die von mindestens fünfundzwanzig
Personen herrühren mussten. Schädel schienen nicht vorhanden zu
sein, diese hatten jedenfalls einem anderen Zweck dienen müssen.
Sonst wies der Raum nichts Bemerkenswertes auf. Nur lagen noch hinter
den Paketen zahlreiche zusammengekräuselte Holzspäne und mehrere
rot bemalte Stücke von etwa einem Meter Lange, deren Zweck mir jedoch
nicht sogleich klar wurde. Erst bei einem späteren, wiederholten
Besuch der Hütte bemerkte ich, dass sie an einem Ende angebrannt
waren und zum Feuerbohren gedient hatten. Und dann fand ich auch
das mit eingebrannten Lächern versehene Holz, das als Bohrbrett
gedient hatte. Auch die Späne waren jedenfalls zum Anfachen von
Feuer verwendet worden. Hastig verliess ich das Geisterhaus, mit
zahlreichen neuen Eindrücken, die mich dem Geheimnis des Rapa-Dema
nähergebracht hatten. Im Sendarflüsschen wusch ich die an mir haftenden
Spurer roter Bemalung des Geisterhauses ab und kam unbemerkt nach
dem Festplatz, wo die Alten gerade dem Samb-zi anstimmten. Der Festtaumel
hatte seinen Höhepunkt erreicht. Von den in Schweiss Gebadeten wurden
mit aller Wucht die Trommeln bearbeitet, währerd die Stimmen schon
bedenklich heiser klangen. Die Weiber liefen mit Sagokuchen hin
und her, von denen jeder sorgfältig in ein junges Kokosblatt eingeflochten
war, und hingen sie den Gatten und Brüdern um die Schultern. Der
Gesang verstummte, die Trommeln wurder beiseite gelegt, und jeder
beeilte sich, den Festplatz zu verlassen, um im Busch seinen Wati
zu kauen und sein Schläfchen abzuhalten. Einige Tage später traten
wir den Rückmarsch an. Auch Meru entschloss sich, mit nach Merauke,
der Stadt, zu kommen. Ich beschloss wiederum zu Fuss zu gehen, da
wir nun den Wind von vorn hatten und die Fahrt mit dem Boot sehr
lange dauern würde. Wir waren mitten in der Regenzeit, die Savanne
stand überall unter Wasser, und so rieten uns die Papua, den Rückweg
langs des Strandes einzuschlagen. Auch dies war nichts weniger als
verlockend, aber wir hatten immerhin die Aussicht, auf diese Weise
den Weg bis Bangu in der halben Zeit zurückzulegen. Der Zeitpunkt
für diesen Marsch war insofern günstig, als sich das Meer in den
Morgenstunden zurückzuziehen begann und erst abends die Flut wieder
einsetzte. So liefen wir volle sieben Stunden ununterbrochen, ohne
Rast und ohne etwas zu essen, die ganze Strecke hindurch, bis wir
in der Ferne die ersten Palmen erblickten, bei denen wir rasteten
und die Nacht verbrachten. Es war dies das zweite Mal, dass ich
diesen Weg langs des Strandes zurückgelegt hatte. Vor einem Jahr
zog ich mit Piaring in entgegen gesetzter Richtung, d. h. gegen
Kondo. Unterwegs waren wir jedoch von der eintretenden Flut uberrascht
worden und mussten im Busch den Rückzug des Wassers abwarten. An
einer besonders heimtückischen Stelle versank ich damals bis an
die Häften im Schlamm und vermochte mich nur mit Hilfe der beiden
Jungen wieder herauszuarbeiten. Der dritte Junge, der mein Schlafzeug
und das Moskitonetz trug, war ohne umzublicken weitergelaufen. Inzwischen
kam das Wasser näher und näher. Wir sahen keine Möglichkeit weiter
zu gehen und arbeiteten uns mit grosser Mühe durch den Schlamm nach
dem Ufer, wo wir im Busch einige Stunden verbrachten. Die Dunkelheit
brach herein. In Ermanglung eines Obdaches und der Moskitonetze
zündeten wir ein schützendes Feuer an. Aber näher und näher kam
das Wasser. Die Wogen rauschten zwischen den Stammen hindurch. Das
Feuer erlosch. Es blieb uns nichts anderes übrig, als auf B?ume
zu klettern; in dieser Lage warteten wir den R?ckgang des Wassers
ab. Und dann die Moskiten! Mit Grauen denke ich an jene Nacht
zurück. Endlich schien sich das Rauschen der Wellen zu vermindern,
wir tappten durch den stockfinsteren Busch nach dem Strand hinaus,
wo wir bei herrlichem Mondschein den Weg fortsetzten. So hatte ich
wieder etwas gelernt, nämlich die Jungen bei gefahrvollen und heimtückischen
Stellen niemals vorauslaufen zu lassen. Mitten in der Nacht brachen
wir bei Mondschein wieder auf. Es war ein ungewohnter Marsch, aber
schön, unvergesslich schön war er, obschon wir alle müde, hungrig
und durstig waren. Der graue, einförmige Strand glanzte jetzt im
fahlen Licht des aufgehenden Mondes wie ein Spiegel. In der Ferne
verrauschte das Meer, und immer schwacher und schwacher wurde das
Murmeln, das mit dem sanften Wind an- und abschwoll. Kreischend
flogen die aufgescheuchten Lappenkiebitze davon....''
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